Der Begriff „Hegemonie“ klingt zunächst abstrakt, ist aber zentral, wenn man verstehen will, wie Macht in Politik und Gesellschaft tatsächlich funktioniert. Ursprünglich aus dem Altgriechischen stammend – hēgemonía bedeutet „Führung“ oder „Vorherrschaft“ – beschreibt Hegemonie die Fähigkeit eines Akteurs, andere zu beeinflussen oder zu lenken, ohne offenen Zwang auszuüben. Ein hegemonialer Staat, eine politische Elite oder eine dominante Idee bestimmt die Spielregeln, nach denen andere handeln, oft ohne dass dies als Herrschaft wahrgenommen wird.
Macht äußert sich dabei nicht nur militärisch oder wirtschaftlich. Sie wirkt auch über Kultur, Sprache, Medien und Werte. Der Politikwissenschaftler Robert Keohane spricht von Hegemonie als einem System, in dem der Führungsakteur durch Normen, Institutionen und Kooperation die Richtung vorgibt – nicht durch Drohung, sondern durch Einbindung. Die Vereinigten Staaten nach 1945 sind dafür ein klassisches Beispiel: Ihre militärische Stärke wurde ergänzt durch kulturelle Dominanz, wirtschaftliche Verflechtung und internationale Institutionen, die nach ihren Vorstellungen gestaltet wurden.
Besonders prägend für das Verständnis des Begriffs ist der italienische Denker Antonio Gramsci. Er unterschied zwischen Herrschaft durch Zwang und Herrschaft durch Zustimmung. Seine Idee der kulturellen Hegemonie beschreibt, wie die Mächtigen ihre Weltanschauung so tief in die Gesellschaft einbetten, dass sie als „natürlich“ erscheint. Schulen, Kirchen, Medien oder Unterhaltung prägen, was als vernünftig, modern oder normal gilt – und genau darin liegt die stille Macht der Hegemonie. Wer die Deutungshoheit über Begriffe, Werte und Normen besitzt, regiert ohne sichtbare Gewalt.
Doch Hegemonie ist kein statischer Zustand. Sie muss fortwährend legitimiert und verteidigt werden. Wenn neue Akteure – Staaten, Bewegungen oder Ideologien – alternative Deutungen anbieten, entstehen Gegenhegemonien. So wie heute China, Russland oder die globale Südbewegung die westlich-liberale Dominanz herausfordern. Solche Verschiebungen sind keine Randnotiz, sondern Ausdruck tiefgreifender Machtveränderungen in der Weltordnung.
Warum ist das wichtig? Weil Hegemonie erklärt, warum Macht oft unsichtbar bleibt. Sie zeigt, wie gesellschaftliche Mehrheiten ihre Zustimmung zu Systemen geben, die sie zugleich begrenzen. Und sie erinnert daran, dass demokratische Auseinandersetzung immer auch ein Kampf um Deutungen ist – darum, was als „normal“ gilt und was als „alternativ“. Wer diese Mechanismen erkennt, versteht Politik nicht nur als Wettbewerb um Stimmen, sondern als ständige Auseinandersetzung um Sinn und Einfluss.
Meine Quelle/n:
Sonja Buckel, Andreas Fischer-Lescano (Hrsg.): Hegemonie gepanzert mit Zwang. Zivilgesellschaft und Politik im Staatsverständnis Antonio Gramscis (= Staatsverständnisse. Band 11). Nomos, Baden-Baden 2007, ISBN 978-3-8329-2438-6
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