Das Jahr 2025 war für Friedrich Merz ein Jahr der Chancen – und der Fehltritte. Der CDU-Vorsitzende, der sich als ordnungspolitischer Gegenentwurf zur Ampelregierung versteht, hat mehrfach gezeigt, wie schmal der Grat zwischen klarer Kante und rhetorischer Entgleisung sein kann. Seine jüngsten Äußerungen offenbaren weniger zufällige Patzer als vielmehr ein Muster: den Versuch, konservative Wähler zurückzugewinnen, auch um den Preis gesellschaftlicher Spaltung.
1. Das „Stadtbild“ als Problem
Bei einem Termin in Brandenburg sagte Merz am 17. Oktober sinngemäß, „wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem“.
Gemeint war das Thema Migration – und damit begann die Kontroverse.
Was als beiläufige Bemerkung erschien, entpuppte sich als rhetorische Grenzüberschreitung. Denn wer Menschen mit Migrationshintergrund in Zusammenhang mit einem „Problem im Stadtbild“ bringt, verschiebt die Perspektive: von sozialen Herausforderungen hin zu einer kulturell-ästhetischen Abwertung.
Der Versuch einer nachträglichen Erklärung – man habe lediglich über Integrationsdefizite gesprochen – konnte die Irritation nicht mindern. Selbst CDU-nahe Stimmen warnten, Merz öffne mit solchen Formulierungen Türen, durch die am Ende nur die politische Rechte gehe.
Kritik kam von Grünen, Linken und Sozialdemokraten gleichermaßen. Sie warfen ihm vor, ein Bild der Ausgrenzung zu bedienen, das gesellschaftliche Brüche vertiefe. Dass gegen Merz inzwischen sogar Strafanzeige gestellt wurde, ist zwar juristisch kaum relevant, politisch aber symbolträchtig: Seine Worte haben Wirkung entfaltet – und nicht die, die er wohl beabsichtigte.
2. „Fragt eure Töchter“ – Rhetorik am rechten Rand
Nur wenige Tage später folgte der nächste Aufreger. In einem Interview forderte Merz groß angelegte Rückführungen abgelehnter Asylbewerber und fügte hinzu:
„Ich weiß nicht, ob Sie Töchter haben … fragen Sie Ihre Töchter.“
Mit dieser Formulierung griff er ein Muster auf, das seit Jahren von rechtspopulistischen Akteuren gepflegt wird: das Narrativ, Migration sei eine Gefahr für „unsere Frauen und Kinder“.
Die Botschaft ist klar – und gefährlich. Sie emotionalisiert, statt zu differenzieren. Statt über Integrationspolitik zu reden, ruft sie Schutzinstinkte hervor.
Die Reaktionen waren entsprechend heftig. Beobachter warnten vor einer „Normalisierung“ von Angstrhetorik. Der Guardian sprach von „gefährlicher Rhetorik“, die sich kaum noch von der Wortwahl der AfD unterscheide. Auch innerhalb der CDU mehrten sich Stimmen, die vor einer strategischen Selbstbeschädigung warnten.
3. Die schleichende Öffnung nach rechts
Bereits im Januar hatte Merz angedeutet, er könne sich vorstellen, im Bundestag auch mit Stimmen der AfD Gesetzesvorhaben zur Migration durchzusetzen.
Damit berührte er ein Tabu, das die Union seit Jahren aufrechterhält: keine Zusammenarbeit mit der extremen Rechten – weder offen noch indirekt.
Zwar sprach Merz anschließend von einem „Missverständnis“, doch das Signal war gesendet. Kritiker aus SPD, Grünen und FDP warfen ihm vor, damit das demokratische Koordinatensystem zu verschieben. Olaf Scholz nannte es einen „gefährlichen Tabubruch“.
Sprache formt Politik
Die drei Episoden sind keine zufälligen Versprecher. Sie zeigen eine Linie: Friedrich Merz setzt bewusst auf zugespitzte Sprache, um Themen wie Migration, Ordnung und Sicherheit zum Kern seiner politischen Strategie zu machen. Doch in dem Moment, in dem Begriffe wie „Stadtbild“, „Töchter“ oder „Rückführungen in großem Stil“ das Bild prägen, verschiebt sich der Diskurs – von sachlicher Politik zu kulturellem Alarmismus.
Für die Sozialdemokratie ergibt sich daraus eine doppelte Aufgabe:
-
Werte behaupten, wo andere Grenzen verschieben.
-
Sprache pflegen, wo populistische Verkürzung droht.
Denn wenn die politische Mitte ihre Sprache verliert, verliert sie auch ihre Überzeugungskraft.
Meine Quellen:
Deutschlandfunk: „Problem im Stadtbild“
ZDFheute: Kritik an Merz nach Stadtbild-Äußerung
The Guardian: Merz accused of using dangerous rhetoric on immigration
Reuters: Scholz accuses rival of breaking taboo on cooperation with far-right
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