Die Debatte um verpflichtende Fortbildungen für Geschichtslehrkräfte nimmt Fahrt auf.
Lutz Raphael, Vorsitzender des Historiker:innenverbands, wirbt leidenschaftlich für ein solches Modell. Sein Hauptargument: Die Flut an Fake News und die erschreckenden Wissenslücken junger Menschen – gerade zum Nationalsozialismus und Holocaust – verlangen eine Antwort.
Die Zahlen sind ernüchternd: 12 % der 18- bis 29-Jährigen haben den Begriff „Holocaust“ noch nie gehört. Fast 40 % wissen nicht, wie viele jüdische Opfer es damals gab. Hart – aber Realität.
Raphael will Lehrkräfte ähnlich wie Ärzt:innen oder Psychotherapeut:innen zu regelmäßiger Weiterbildung verpflichten. Klingt zunächst vernünftig. Doch ein genauerer Blick zeigt: Ganz so einfach ist es nicht.
Das eigentliche Problem sitzt tiefer
Wissenslücken sind kein neues Phänomen. Und sie entstehen nicht, weil Lehrkräfte sich nicht weiterbilden. Das Fach Geschichte leidet an ganz anderen Baustellen: zu wenig Zeit, fehlende Kontinuität, geringe Priorität im Lehrplan. Dazu fachfremder Unterricht – Lehrkräfte, die Geschichte „nebenbei“ unterrichten, ohne dafür ausgebildet zu sein.
Selbst Raphael gibt zu: Solche strukturellen Defizite lassen sich mit Fortbildungen allein nicht beheben. Und genau da wird’s interessant.
Fake News als Argument – sinnvoll oder nur moralischer Druck?
Natürlich ist Desinformation ein Problem. Aber wie genau sollen Fortbildungen dagegen helfen?
Fehlen nicht vielmehr konkrete Strategien, wie Schüler:innen lernen, Quellen kritisch zu prüfen? Oder bleibt es bei Phrasen wie: „Wir müssen sie daran gewöhnen“?
Ohne klare didaktische Konzepte droht der Vorstoß schnell symbolisch zu wirken – mehr Signal als Substanz.
Pflicht ohne Plan? Drei kritische Punkte
1. Mehr Belastung für Lehrkräfte?
Die Realität: Zeitdruck, Personalmangel, Digitalisierungsstress – und jetzt noch verpflichtende Fortbildungen? Ohne zeitliche Entlastung und Ressourcen wird aus Motivation schnell Frust.
2. Der Medizinvergleich hinkt.
Ärzt:innen haben klare Kompetenzprofile, regelmäßige Überprüfungen und verbindliche Standards. In Schulen? Fehlanzeige. Ohne Qualitätskriterien drohen Fortbildungen zu reinen Pflichtterminen ohne Wirkung zu verkommen.
3. Bildungsungleichheit bleibt außen vor.
Gleiche Fortbildungen für alle klingen gerecht – sind es aber nicht. Schulen in strukturschwachen Regionen haben oft weder digitale Ausstattung noch Museen in der Nähe. Hier geht’s um Chancengleichheit, nicht nur Gleichbehandlung.
Was es wirklich bräuchte
Pflicht allein bringt nichts. Es braucht einen Plan – und zwar einen, der über das bloße Weiterbildungsangebot hinausgeht:
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Mehr Stunden und Fachlehrkräfte, weniger Notlösungen.
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Didaktisch fundierte Module: Methoden gegen Desinformation, Förderung historischen Denkens.
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Verbindliche Standards & Evaluation: Was soll am Ende tatsächlich hängen bleiben?
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Mentoring statt nur Pflicht: Erfahrene Lehrkräfte begleiten, schulinterne Angebote fördern.
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Gezielte Förderung für besonders benachteiligte Schulen.
Ein Modell mit Perspektive
Statt starrer Pflichttermine könnte ein Pilotprojekt starten:
Eine Region führt verpflichtende, aber zeitlich kompensierte Fortbildungstage ein. Ein Mentorensystem unterstützt den Praxistransfer. Zusätzlich gibt es geförderte Unterrichtseinheiten zu Quellenkritik und digitaler Desinformation.
Nach einem Jahr wird ausgewertet: Was hat sich verändert? Hat es wirklich etwas gebracht?
So wird Fortbildung zur Chance – nicht zur reinen Pflichtübung.
Gute Absicht reicht nicht
Raphaels Vorstoß ist wichtig. In Zeiten wachsender Desinformation und Geschichtsvergessenheit sind klare Signale nötig. Aber: Pflichtfortbildungen ohne strukturelle Reform, klare Konzepte und Entlastung bleiben gut gemeint – aber wirkungslos.
Was wir brauchen, ist eine echte Bildungsoffensive. Eine, die Lehrkräfte stärkt, statt sie zusätzlich zu belasten. Nur dann wird aus Pflicht auch Fortschritt.
Meine Quellen:
- Die Zeit vom 20.7.2025 - https://www.zeit.de/politik/2025-07/fake-news-lehrer-fortbildung-demokratie
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