Gestern endete der Juni, weltweit als Pride Month bekannt – ein Monat, in dem queere Menschen ihre Identität feiern, Sichtbarkeit fordern und gegen Diskriminierung demonstrieren. Mit Paraden, kulturellen Veranstaltungen und politischen Aktionen erinnern LGBTQIA+-Gemeinschaften und ihre Unterstützer an die Stonewall-Aufstände von 1969 in New York – ein Wendepunkt im Kampf für die Rechte sexueller und geschlechtlicher Minderheiten. Doch seit einigen Jahren wird der Pride Month gezielt von rechtspopulistischen und extrem rechten Akteuren angegriffen. Eine besonders perfide Strategie rechtsextremer und rechtspopulistischer Akteure ist die Erfindung eines sogenannten „Stolzmonats“ (englisch: "Straight Pride Month"), der als vermeintlich gleichwertiges Gegenstück zum Pride Month inszeniert wird. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich jedoch eine gezielte homofeindliche Kampagne, die in ideologischer Nähe zu kulturkämpferischen, autoritär geprägten Weltbildern steht und bewusst dazu dient, die Sichtbarkeit und Gleichberechtigung queerer Menschen zu delegitimieren.
Ursprung und Begrifflichkeit
Die Idee eines „Stolzmonats“ für Heterosexuelle tauchte erstmals im englischsprachigen Raum auf, insbesondere in den USA. Bereits Anfang der 2000er-Jahre verbreiteten konservative Kommentatoren die Behauptung, dass die Betonung queerer Identitäten eine Form von "heterophober Diskriminierung" sei. Der Begriff „Straight Pride“ wurde von rechten Gruppen als eine Art „Gegengewicht“ zum Pride Month eingeführt, zunächst auf satirische Weise, später zunehmend mit ernst gemeintem, ideologisch motiviertem Unterton. Rechte Aktivisten begannen, eigene Paraden anzumelden, bei denen bewusst antiprogressive Botschaften im Vordergrund standen.
In Deutschland fand der Begriff zunächst kaum Anklang, doch mit der zunehmenden Vernetzung rechter Kreise über soziale Medien sowie dem Einfluss transatlantischer Kulturkämpfe etablierte sich der „Stolzmonat“ seit etwa 2020 auch hierzulande als Schlagwort. Seither kursiert der Begriff insbesondere im Umfeld rechtspopulistischer Influencer, in Telegram-Kanälen der Neuen Rechten sowie auf Plattformen wie Twitter/X, Instagram oder TikTok.
Ideologische Hintergründe
Der sogenannte „Stolzmonat“ ist nicht Ausdruck eines tatsächlichen Bedürfnisses heterosexueller Menschen nach Sichtbarkeit – schließlich dominieren heteronormative Strukturen den gesellschaftlichen Alltag seit Jahrhunderten. Vielmehr zielt die Kampagne darauf ab, die Anliegen queerer Menschen zu delegitimieren, ihre Kämpfe zu trivialisieren und die LGBTQIA+-Bewegung als übergriffig oder gar gefährlich darzustellen.
Die Strategie folgt einem klassischen Muster rechtspopulistischer Diskursverschiebung: Zunächst wird das gesellschaftliche Engagement marginalisierter Gruppen als überzogen dargestellt. Dann inszeniert man die Mehrheitsgesellschaft als Opfer. Schließlich wird versucht, die gesellschaftliche Bühne durch provokative Gegennarrative zu dominieren. Der „Stolzmonat“ ist damit ein gezielter Versuch, den gesellschaftlichen Konsens über Gleichberechtigung und Antidiskriminierung zu untergraben.
Symbolik und Inszenierung
Anhänger des „Stolzmonats“ nutzen gezielt Sprache und Symbole, die auf den ersten Blick harmlos erscheinen, aber in Wirklichkeit eine aggressive ideologische Stoßrichtung haben. So wird beispielsweise das traditionelle Familienbild betont – Vater, Mutter, Kind – als „natürliche Ordnung“. Diese Betonung ist keineswegs zufällig, sondern ein Rückgriff auf autoritäre, teils religiös-fundamentalistische Weltbilder.
Auch Farben und Flaggen kommen zum Einsatz, die sich formal an der Regenbogenflagge orientieren, aber gegenteilige Botschaften transportieren sollen. So gibt es beispielsweise schwarz-weiß-rote Varianten, die gezielt eine Nähe zu nationalistischen Symboliken herstellen. Diese Farbwahl erinnert nicht zufällig an historische Fahnen nationalistischer Bewegungen, insbesondere an die Farben des Deutschen Kaiserreichs, die heute häufig von rechtsextremen Gruppen bei Demonstrationen verwendet werden (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung, 2021). Solche visuellen Mittel dienen nicht nur der Provokation, sondern auch der Schaffung einer kollektiven Identität in der rechten Gegenöffentlichkeit.
Der „Stolzmonat“ als Mittel zur Radikalisierung
In den sozialen Medien wird der „Stolzmonat“ von rechten Influencern als eine Art „mutiger Widerstand gegen den Woke-Wahnsinn“ dargestellt. Diese Inszenierung ist anschlussfähig für ein Publikum, das sich vom gesellschaftlichen Wandel verunsichert fühlt – beispielsweise zeigt sich das an der Verbreitung von Hashtags wie #Prideoverload oder #NormalerStolz, mit denen rechte Influencer gegen queere Sichtbarkeit mobilisieren – etwa durch mehr Sichtbarkeit queerer Lebensweisen, gendergerechte Sprache oder Diversity-Initiativen. Die Kampagne knüpft an Alltagsfrustrationen an und übersetzt sie in eine einfache, binäre Weltsicht: Wir gegen die.
Diese Simplifizierung ist strategisch. Sie ermöglicht Radikalisierung in kleinen Schritten. Was als vermeintlich harmlose Kritik an „Gender-Gaga“ oder „Queer-Ideologie“ beginnt, kann sich zu einer grundsätzlichen Ablehnung von Vielfalt, Demokratie und Menschenrechten auswachsen. Die Debatte um den „Stolzmonat“ dient hier als Türöffner für ein ganzes Arsenal an rechtsextremen Ideologemen.
Die Rolle der Medien
Konservative und rechte Medien spielen eine zentrale Rolle bei der Verbreitung des „Stolzmonat“-Narrativs. Sie greifen gezielt Einzelbeispiele auf, die als vermeintlicher Beleg für eine "Queer-Übertreibung" dienen sollen – etwa Regenbogenflaggen an öffentlichen Gebäuden oder queere Bildungsangebote an Schulen. Diese Beispiele werden emotional aufgeladen, entkontextualisiert und skandalisiert.
Gleichzeitig präsentieren diese Medien die Reaktionen auf den „Stolzmonat“ – etwa Empörung oder Kritik – als Beweis für eine angebliche Intoleranz der queeren Szene. Das eigentliche Ziel ist jedoch nicht der Dialog, sondern die Eskalation. Der mediale Diskurs wird bewusst vergiftet, um Gräben zu vertiefen und Polarisierung voranzutreiben.
Politische Anschlussfähigkeit
In Deutschland zeigen sich politische Anschlussmöglichkeiten vor allem bei der AfD und ihr nahestehenden Organisationen. Die Partei hat in der Vergangenheit immer wieder gegen Pride-Veranstaltungen Stimmung gemacht und versucht, LGBTQIA+-Themen als „Frühsexualisierung“ oder „Gender-Ideologie“ zu diskreditieren. Der „Stolzmonat“ bietet hierfür eine perfekte Projektionsfläche.
Aber auch in bestimmten konservativen Milieus – insbesondere dort, wo kulturelle Identitätsfragen dominieren – finden sich Anschlussstellen an das Narrativ des „Stolzmonats“. Diese Milieus unterscheiden sich von offen rechtspopulistischen Strukturen durch eine meist institutionell eingebettete, moderatere Rhetorik, übernehmen jedoch teilweise ähnliche Deutungsmuster und setzen diese in anderen Kontexten fort. So werden etwa Anliegen der queeren Bewegung als „Luxusprobleme“ in einer Zeit wirtschaftlicher Krisen dargestellt. Das Ziel ist die Spaltung progressiver Bündnisse, die Ausspielung sozialer gegen kulturelle Fragen und letztlich die Schwächung emanzipatorischer Politik insgesamt.
Widerstand und Gegenstrategien
Dem rechten „Stolzmonat“ kann nur durch Aufklärung, Solidarität und klare Haltung begegnet werden. Es ist notwendig, die Strategien und Ideologien hinter dieser Kampagne zu entlarven und öffentlich zu benennen. Dabei helfen Bildungsangebote, mediale Gegenkampagnen und eine konsequente Haltung von Politik und Zivilgesellschaft.
Gleichzeitig ist es wichtig, die Anliegen des Pride Month nicht zu entpolitisieren. Es geht nicht nur um Feierlichkeit oder bunte Paraden – sondern um handfeste politische Kämpfe: gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz, gegen Gewalt auf der Straße, für rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Anerkennung. Der Pride Month ist eine politische Notwendigkeit – keine folkloristische Veranstaltung.
Der „Stolzmonat“ ist keine harmlose Meinungsäußerung, sondern ein strategisch eingesetztes Mittel der rechten Kulturkampfagenda. Er stellt eine gezielte Herausforderung an grundlegende demokratische Werte wie Gleichheit, Menschenwürde und Meinungsfreiheit dar. Indem er Mehrheitsprivilegien als unterdrückt inszeniert und marginalisierte Gruppen diffamiert, trägt er zur schleichenden Normalisierung von Intoleranz und Ausgrenzung bei – ein gefährlicher Angriff auf die pluralistische Demokratie. Er dient der Verharmlosung von Diskriminierung, der Umdeutung von Mehrheitsprivilegien in vermeintliche Opferrollen und der Mobilisierung gegen emanzipatorische Bewegungen. Wer diesem Narrativ zustimmt oder es als „provokante Satire“ abtut, macht sich zum Komplizen einer gefährlichen Ideologie.
Es liegt an der demokratischen Öffentlichkeit, dieser Entwicklung entschlossen entgegenzutreten – mit Klarheit, Solidarität und der Bereitschaft, Vielfalt nicht nur zu tolerieren, sondern aktiv zu verteidigen.
Meine Quellen:
Amadeu Antonio Stiftung: "Gegenrede im Netz – Umgang mit rechten Narrativen", Berlin 2022.
Bundeszentrale für politische Bildung: "Pride Month und queere Sichtbarkeit", Dossier 2023.
Queer.de: "Straight Pride – Wie Rechte den Pride Month kapern wollen", Juni 2022.
Tagesspiegel: "Stolz auf was? Der 'Stolzmonat' als rechte Provokation", 28.06.2023.
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