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Wehrhafte Demokratie oder politisches Risiko? – Mein Kommentar zur Debatte um ein AfD-Verbotsverfahren

Die erneute Einstufung der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ markiert eine Zäsur in der politischen Auseinandersetzung mit dieser Partei. Dass diese Bewertung juristisch umstritten bleibt und bis zur Klärung auf Eis gelegt wurde, ändert nichts an der Tatsache, dass die AfD programmatisch, personell und strategisch längst die Grenzen des demokratisch Sag- und Machbaren überschritten hat. Gleichwohl stellt sich aus Sicht eines engagierten SPD-Mitglieds die Frage: Gerade eine Partei wie die SPD, die in ihrer Geschichte selbst Verfolgung und Verbot erlebte, etwa während des Kaiserreichs und der NS-Zeit, sollte besonders sorgfältig abwägen, ob ein Parteiverbot das geeignete Mittel ist – oder ob politische Auseinandersetzung nicht wirkungsvoller und nachhaltiger ist. Ist ein Parteiverbotsverfahren tatsächlich der richtige Weg – oder droht hier eine gefährliche Verwechslung von politischer mit juristischer Verantwortung?

Die demokratische Notwehr – berechtigt, aber schwierig umzusetzen

Die Forderung der NRW-SPD, ein AfD-Verbotsverfahren prüfen zu lassen, ist moralisch verständlich und politisch nachvollziehbar. Die Partei radikalisiert sich kontinuierlich – insbesondere in Landesverbänden wie Thüringen, Sachsen oder Brandenburg. Ihre Protagonisten wie Björn Höcke verharmlosen NS-Verbrechen, hetzen gegen Migranten und destabilisieren bewusst demokratische Institutionen. Wenn eine Partei systematisch auf die Zerstörung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hinarbeitet, muss der Staat reagieren. Die Instrumente des Grundgesetzes – insbesondere Artikel 21 – sehen in solchen Fällen ausdrücklich ein Parteiverbot vor.

Doch ein Verbotsverfahren ist kein politisches Signal, sondern ein rechtlicher Ausnahmeakt. Die Hürden dafür sind aus guten Gründen hoch. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen zu NPD-Verfahren klargestellt: Es reicht nicht, dass eine Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt – sie muss auch „aktiv kämpferisch-aggressiv“ diese Ordnung beseitigen wollen und die reale Möglichkeit haben, dies zu tun. Gerade an letzterem Punkt dürfte ein AfD-Verbot juristisch angreifbar bleiben. Schon das NPD-Verbotsverfahren scheiterte 2003 an der Durchsetzung dieser Hürde, weil das Bundesverfassungsgericht der Partei keine konkrete Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung attestieren konnte – ein Präzedenzfall, der auch für den Umgang mit der AfD lehrreich ist. Ein gescheitertes Verfahren könnte der Partei letztlich sogar nutzen – als „Märtyrerin der Meinungsfreiheit“.

Parteienverbot als politische Ersatzhandlung?

Ein weiteres Problem besteht darin, dass ein Verbotsverfahren politisch das falsche Signal setzen könnte. Frühere Beispiele zeigen, dass die politische Auseinandersetzung oft erfolgreicher war als juristische Schritte – etwa im Umgang mit den Republikanern in den 1990er Jahren, die durch konsequente politische Positionierung und öffentliche Aufklärung an Einfluss verloren, ohne dass ein Parteiverbot notwendig war. Wenn die SPD – oder die demokratische Mitte insgesamt – sich auf juristische Wege zur Zurückdrängung der AfD verlässt, statt eigene inhaltliche Überzeugungskraft zurückzugewinnen, wirkt das wie eine Ersatzhandlung. Die eigentliche Aufgabe bleibt: Die AfD politisch zu stellen, ihr Programm zu entlarven, ihre Schwächen offenzulegen und durch sozialdemokratische Antworten auf soziale Ängste, Unsicherheit und Demokratieverdruss zu überzeugen.

Der politische Kampf gegen die AfD ist keine Frage der Paragrafen, sondern der politischen Glaubwürdigkeit. Wo die SPD glaubwürdig soziale Sicherheit, demokratische Beteiligung und klare Kante gegen Hass bietet, verliert die AfD an Boden. Dort, wo die SPD zaudert, laviert oder sich im technokratischen Klein-Klein verliert, füllt die AfD das Vakuum mit autoritärer Rhetorik.

Spaltung in der SPD – ein ernstes Warnsignal

Dass innerhalb der SPD – wie etwa durch Olaf Lies, der auf mögliche juristische Rückschläge und das Risiko politischer Märtyrer-Inszenierungen hinweist, oder durch andere Realos im Parteivorstand, die auf strategische Kommunikation und politische Auseinandersetzung setzen – Bedenken gegen ein Verbotsverfahren geäußert werden oder andere Stimmen im Parteivorstand, Bedenken gegen ein Verbotsverfahren geäußert werden, zeigt die berechtigte Sorge vor strategischen Fehleinschätzungen. Auch der Hinweis auf die Notwendigkeit eines veröffentlichten, überprüfbaren Verfassungsschutz-Gutachtens ist kein bloßer Formalismus, sondern ein Gebot rechtsstaatlicher Gründlichkeit. Die SPD sollte sich nicht in einer symbolischen Debatte erschöpfen, sondern auf eine tragfähige politische Strategie setzen.

Politische Verantwortung vor juristischem Aktionismus

Die SPD muss klar Haltung zeigen – gegenüber der AfD, gegenüber ihrer Ideologie, gegenüber jedem Versuch, den demokratischen Diskurs zu vergiften. Aber diese Haltung muss vor allem politisch überzeugend sein. Ein Verbotsverfahren mag legitim erscheinen, doch es birgt hohe Risiken – juristisch, strategisch und kommunikativ. Es sollte nicht als erste Option, sondern als letztes Mittel verstanden werden.

Was es stattdessen braucht: eine gestärkte politische Kultur der Demokratie, etwa durch kommunale Dialogforen, Bürgerhaushalte, politische Bildungsinitiativen an Schulen und die Stärkung zivilgesellschaftlicher Netzwerke, Investitionen in Bildung, Teilhabe, soziale Sicherheit – und eine SPD, die die Menschen zurückgewinnt, bevor sie sich aus Verzweiflung radikalen Kräften zuwenden. Der Kampf gegen die AfD beginnt nicht vor dem Bundesverfassungsgericht, sondern im Parlament, in den Medien – und an der Haustür.



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