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Mein Kommentar zum ZEIT-Artikel „Macht es euch nicht zu einfach in der Frage, wie man den israelischen Angriff auf den Iran beurteilen soll“ (18. Juni 2025)

Der von Eva Illouz übersetzte Text von Peter Neumann im Feuilleton der ZEIT unternimmt den Versuch, die Debatte um einen möglichen israelischen Angriff auf den Iran zu differenzieren. Der Artikel argumentiert gegen vorschnelle Urteile und fordert dazu auf, die Komplexität der Situation anzuerkennen – ein Ansatz, der zweifellos dem Geist Hannah Arendts verpflichtet ist. Dennoch offenbaren sich im Text einige problematische Verkürzungen und blinde Flecken, die einer kritischen Würdigung bedürfen.

Anspruch und Wirklichkeit der "Komplexität":  Der Autor betont die Notwendigkeit, die Lage nicht in einfachen Stereotypen (rechts/links) zu deuten. Doch bleibt diese Forderung selbst erstaunlich abstrakt: Zwar wird mehrfach die Gefahr des moralischen Rigorismus angesprochen, gleichzeitig aber verpasst es der Text, die konkreten historischen, gesellschaftlichen und sicherheitspolitischen Dynamiken im Nahen Osten wirklich aufzuschlüsseln. Die Beschreibung der Rolle Irans bleibt letztlich oberflächlich und reduziert sich auf die Aufzählung terroristischer Unterstützungen – ohne die innenpolitischen und geopolitischen Motive Teherans oder die historischen Ursachen der Feindschaft mit Israel analytisch zu beleuchten.

Israelische Perspektive und der Vorwurf des Zynismus: Neumann schildert die israelische Politik als getrieben von einer existenziellen Bedrohungswahrnehmung, was durchaus nachvollziehbar ist. Doch diese Perspektive wird nicht hinterfragt: Die Komplexität iranischer Bedrohung wird anerkannt, aber die Instrumentalisierung dieser Bedrohung für innenpolitische Zwecke – insbesondere durch die Regierung Netanjahu – erscheint fast als Naturgesetz. Kritisch wäre zu fragen, inwieweit die aktuelle Regierung tatsächlich einen konstruktiven Beitrag zur Deeskalation leistet oder ob sie nicht selbst Teil des Problems ist, indem sie mit einem Feindbild Politik betreibt.

Die Rolle westlicher Politik und Diskurse: Im Text kommt der Westen, insbesondere die USA, fast nur am Rande vor. Dabei prägen westliche Sanktionen, Diplomatie und Rüstungsdeals sowohl die Sicherheitslage als auch die Narrative beider Seiten maßgeblich mit. Gerade hier wäre eine Einordnung notwendig gewesen, welche Verantwortung auch Europa und die USA an der Eskalationsspirale tragen. Die Aufforderung zu differenzierter Urteilskraft hätte diesen Aspekt unbedingt einschließen müssen.

Fehlende Stimmen aus der Zivilgesellschaft: Auffällig ist das Fehlen iranischer und israelischer zivilgesellschaftlicher Perspektiven. Die Diskussion dreht sich ausschließlich um Eliten, Bedrohungsszenarien und politische Machtspiele. So bleibt ausgeblendet, dass sowohl in Israel als auch im Iran zahlreiche Stimmen für Verständigung und Frieden existieren, die in medialen Debatten oft überhört werden. Eine wirklich differenzierte Analyse hätte auch diesen Akteuren Raum geben müssen.

Die Gefahr der Paralyse durch Komplexität: Der Appell, sich ein Urteil nicht zu einfach zu machen, ist ehrenwert. Aber er läuft Gefahr, zur Ausrede für politische Passivität zu werden. Gerade im Lichte jüngster Entwicklungen – von den Folgen des Hamas-Angriffs auf Israel bis zu den Protesten im Iran – braucht es auch Mut zur Positionierung, die Komplexität nicht leugnet, aber trotzdem klare normative Standards einfordert.

Fazit: Der Artikel gibt gute Denkanstöße, bleibt aber selbst manchmal zu unklar. Für ein besseres Verständnis müsste man die Hintergründe genauer erklären, die Rolle des Westens beleuchten und auch die Stimmen der Menschen vor Ort zeigen. Sonst bleibt der Aufruf, die Dinge „differenziert zu sehen“, nur eine leere Floskel.

Meine weiteren Quellen:

  • Michael Wolffsohn: "Zum Verständnis des Nahostkonflikts" (Bundeszentrale für politische Bildung)

  • Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier: "Iran – Politik, Gesellschaft, Wirtschaft" (bpb.de)

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