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Die Diskrepanz zwischen Boykottabsicht und Kaufpraxis

 Bezug: Artikel im Handelsblatt vom 20.6.2025 -  https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/handelspolitik-verbraucher-wollen-us-marken-boykottieren-und-kaufen-sie-trotzdem/100136297.html

Der Artikel „Verbraucher wollen US‑Marken boykottieren – und kaufen sie trotzdem“ zeigt, wie wenig Einfluss erklärte Boykottabsichten auf das reale Kaufverhalten haben. Trotz politischer Spannungen blieben laut Digitec Galaxus die Verkäufe von US‑Produkten stabil. Nur neun Prozent der Befragten wären „auf jeden Fall“ bereit, für Alternativen höhere Preise zu zahlen.

Das verweist auf die sogenannte Attitude‑Behaviour‑Gap: Menschen äußern moralische Überzeugungen, handeln jedoch oft aus Bequemlichkeit, Gewohnheit oder Preisbewusstsein anders. Das Beispiel Apple versus Fairphone illustriert diese Kluft – Loyalität und Komfort wiegen stärker als ethische Prinzipien.

Methodisch kritisch bleibt die Konzentration auf einen einzigen Händler. Digitec Galaxus ist nicht repräsentativ für den gesamten Markt. Zudem fehlt eine längere Beobachtungsdauer. Kurzfristige Schwankungen sagen wenig über langfristige Trends.

Der Hinweis auf Reddit-Listen mit europäischen Alternativen zeigt, dass zivilgesellschaftliches Engagement existiert. Doch Listen ohne Preis- und Leistungsabgleich haben wenig Wirkung. Der deutsche Einzelhandel betreibt – anders als etwa Kanada – keine offenen Boykottkampagnen. Der Konsum bleibt Privatsache.

Ökonomisch überrascht das Verhalten nicht: Elektronik ist preissensibel. US‑Marken besitzen durch Technikvorsprung und Marktmacht eine starke Stellung. Der Austausch ist für viele Konsumenten kostspielig und unpraktisch.

Politisch birgt die Diskrepanz Risiken. Boykottaufrufe können falsch als Ausdruck breiter Meinungen gedeutet werden. Das führt zu politischen Überreaktionen oder entwertet zivilgesellschaftliche Kampagnen.

Für die Forschung bedeutet das: Es braucht interdisziplinäre Studien, die Umfragedaten, Verkaufszahlen und Motivanalysen kombinieren. Unterschiede zwischen Zielgruppen – z. B. Stadt versus Land – müssen stärker berücksichtigt werden.

Fazit: Der Artikel weist auf ein relevantes Spannungsfeld zwischen politischem Anspruch und ökonomischer Realität hin. Die empirische Basis bleibt schmal, die Schlussfolgerung, Boykotte seien wirkungslos, voreilig. Doch er erinnert daran, dass wer mit dem Einkauf politisch wirken will, auch bereit sein muss, persönliche Kosten zu tragen.



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