aus der Geschichte: 6. Juni 1944 - Der D-Day als Befreiung Deutschlands – Eine sozialdemokratische Perspektive
Der 6. Juni 1944 markiert mit der Landung alliierter Truppen in der Normandie einen Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg. Aus militärischer Sicht war dies der Beginn des Endes der nationalsozialistischen Herrschaft über Europa. Doch jenseits der strategischen Dimension stellt sich aus deutscher Perspektive eine zentrale Frage: War der D-Day für Deutschland eine Niederlage – oder eine Befreiung? Aus sozialdemokratischer Sicht ist die Antwort eindeutig: Der D-Day war eine Befreiung, ein notwendiger Schritt zur Wiederherstellung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, die schließlich im Aufbau der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland ihren institutionellen Ausdruck fand in einem von Terror, Krieg und Diktatur beherrschten Land.
Nachfolgend beleuchte ich in historischer, ideologischer und moralischer Hinsicht, warum Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten den D-Day als Beginn der Befreiung Deutschlands begreifen – und warum diese Sicht auch heute noch von zentraler Bedeutung für das politische Selbstverständnis ist.
Der Nationalsozialismus: Der totale Staat
Die Jahre 1933 bis 1945 markieren die dunkelste Zeit deutscher Geschichte. Der Nationalsozialismus war nicht nur ein autoritäres Herrschaftssystem, sondern ein totalitärer Staat, der alle Lebensbereiche durchdrang. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus und freie Meinungsäußerung wurden abgeschafft. Millionen Menschen – vor allem Juden, aber auch Sinti und Roma, politisch Andersdenkende, Homosexuelle und Menschen mit Behinderungen – wurden verfolgt, deportiert und ermordet.
Für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten bedeutete der Aufstieg Hitlers auch die gewaltsame Zerschlagung ihrer Bewegung. Die SPD war die einzige Partei, die im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz stimmte. Ihre Mitglieder wurden verfolgt, verhaftet, in Konzentrationslager gesperrt oder ins Exil gezwungen. Damit war klar: Der Nationalsozialismus war nicht nur ein äußeres Unrechtssystem – er war ein direkter Gegner der sozialdemokratischen Idee von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.
Die Bedeutung des D-Day im militärischen und politischen Kontext
Die Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 eröffnete die Westfront und war der Auftakt zur systematischen Rückeroberung des von Deutschland besetzten Westeuropas. Die USA, Großbritannien und Kanada führten die Invasion an, unterstützt von zahlreichen weiteren alliierten Truppen. Aus militärischer Sicht stellte der D-Day die entscheidende Wende dar, die den Zweifrontenkrieg vollendete und den Vormarsch auf Berlin einleitete.
Politisch bedeutete der D-Day nicht nur die Rettung Frankreichs, Belgiens und der Niederlande – sondern auch das Absehbarwerden der Zerschlagung der nationalsozialistischen Diktatur. Für die sozialdemokratische Bewegung im Exil war dies ein Hoffnungsschimmer: Die Aussicht, dass Deutschland nicht ewig unter dem NS-Regime leiden müsse, sondern dass ein demokratischer Neuanfang möglich würde.
Befreiung – nicht Niederlage
Die Sichtweise, Deutschland sei 1945 "besiegt" worden, war lange dominant, insbesondere unter konservativen und nationalistischen Kreisen. Doch die Sozialdemokratie hat früh eine andere Perspektive eingenommen: Nicht die Niederlage Deutschlands stand im Vordergrund, sondern die Befreiung vom Unrechtssystem.
Bereits kurz nach dem Krieg sprach der spätere Bundeskanzler Willy Brandt davon, dass Deutschland "nicht befreit, sondern erlöst" worden sei (vgl. Brandt, Rede zum 20. Juli 1944, gehalten am 20. Juli 1964 in Berlin). Eine drastische, aber treffende Formulierung für das Ende eines Regimes, das die Menschen entrechtet und das Land in den Abgrund geführt hatte. In dieser Tradition wurde die SPD zur Triebkraft des demokratischen Wiederaufbaus.
Der D-Day ist aus dieser Sicht kein Tag der nationalen Schmach, sondern ein Symbol der Hoffnung – auch für Deutsche. Ohne die Alliierten hätte es keinen Zusammenbruch des NS-Staates, keine Nürnberger Prozesse, keine Entnazifizierung und keinen demokratischen Neubeginn gegeben. Die sozialdemokratische Haltung war stets klar: Freiheit muss manchmal von außen erzwungen werden, wenn sie von innen zerstört wurde.
Die Rolle der Exilsozialdemokratie
Während viele sozialdemokratische Funktionäre und Mitglieder im Inland verfolgt wurden, setzten andere im Exil ihre Arbeit fort – unter anderem im Londoner Exilbüro der SPD, dem "Sopade". Diese Exilgruppe veröffentlichte regelmäßig Lageberichte über Deutschland, wie etwa die sogenannten "Deutschland-Berichte der Sopade" (1934–1940), entwickelte Entwürfe für ein demokratisches Nachkriegsdeutschland und knüpfte Kontakte zu alliierten Regierungen.
Die Exilsozialdemokratie erkannte früh, dass eine deutsche Befreiung von innen nicht mehr möglich war. Die Landung der Alliierten bedeutete daher nicht nur militärischen Fortschritt, sondern ein konkretes Signal an das Exil: Die Zeit des Terrors geht zu Ende. Diese Erwartung verband sich mit der Hoffnung, dass die sozialistische Bewegung im befreiten Deutschland wieder eine gestaltende Rolle übernehmen könnte – was sich nach 1945 auch erfüllte.
Kontinuität der Erinnerungskultur
Dass die SPD den 8. Mai 1945 als "Tag der Befreiung" anerkennt, ist nicht nur ein symbolischer Akt, sondern Ausdruck einer tief verankerten Haltung. Der D-Day war der entscheidende Anfang dieses Weges. In zahlreichen Reden, Gedenkveranstaltungen und programmatischen Schriften betont die Partei seither die Bedeutung dieser historischen Etappen für die Entstehung der Bundesrepublik.
Willy Brandt, Helmut Schmidt, Johannes Rau und viele andere prominente Sozialdemokraten unterstrichen immer wieder, dass Demokratie nicht selbstverständlich ist – und dass sie gegen den Totalitarismus verteidigt werden muss. Die Erinnerung an den D-Day steht exemplarisch für diesen Einsatz: Nicht als patriotischer Heldentag, sondern als Mahnung, was geschieht, wenn Freiheit, Pluralismus und Menschenwürde missachtet werden.
Aktuelle Bedeutung: Antifaschismus und europäische Verantwortung
In der Gegenwart ist die Erinnerung an den D-Day für die Sozialdemokratie mehr als historische Rückschau. Sie ist Teil des politischen Auftrags. In Zeiten, in denen Populismus, Nationalismus und autoritäre Strömungen erneut erstarken, ist der Bezug auf die Befreiung Europas von der NS-Diktatur ein wesentlicher Bestandteil sozialdemokratischer Identität.
Die SPD versteht sich als proeuropäische Kraft, die aus der Geschichte gelernt hat und sich deshalb aktiv für eine vertiefte europäische Integration, die Stärkung demokratischer Institutionen innerhalb der EU sowie für Initiativen wie die Europäische Säule sozialer Rechte einsetzt: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus. Der D-Day ist das Symbol für den Sieg dieser Prinzipien über den Terror. In Gedenkreden betonen Parteivertreter heute die Bedeutung internationaler Bündnisse wie der EU und der NATO als Garanten für Frieden und Freiheit – ein direkter Bezug auf die alliierten Bemühungen von 1944.
Ein Tag der Hoffnung und Verpflichtung
Aus sozialdemokratischer Sicht war der D-Day kein Tag der Niederlage, sondern der Anfang der Befreiung Deutschlands. Die Landung der Alliierten in der Normandie war ein Wendepunkt, der nicht nur Europa, sondern auch Deutschland den Weg zur Freiheit ebnete. Für die SPD und ihre Tradition steht dieser Tag für Mut, Hoffnung und das Versprechen, dass Unrecht nicht ewig triumphieren kann.
Der D-Day mahnt, dass Demokratie verteidigt werden muss – etwa angesichts aktueller Bedrohungen durch rechtspopulistische Parteien, gezielte Desinformationskampagnen und Angriffe auf die Rechtsstaatlichkeit in einigen EU-Staaten – manchmal auch mit militärischer Gewalt, wenn alle anderen Mittel versagen. Für die deutsche Sozialdemokratie ist der 6. Juni 1944 deshalb nicht nur ein Datum der Geschichte, sondern ein bleibender Teil ihres Selbstverständnisses: Als Partei, die für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität eintritt – damals wie heute.
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