Ursprung dieses historischen Eingriffs in die kommunale Gefühlswelt war das berüchtigte "Nikolausurteil" des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs Az 13/74 vom 6. Dezember 1975. Warum "Nikolaus"? Vielleicht weil es eine Überraschung war. Vielleicht auch, weil es aus einem Sack voller Strukturreformen gezogen wurde, ohne dass jemand wirklich gefragt wurde. Jedenfalls wurde Gladbeck, bis dahin selbstbewusst, autonom, ein bisschen trotzig, aus dem Verwaltungsorbit der großstädtischen Nachbarn Gelsenkirchen und Bottrop hinauskatapultiert und in die behaglich-bürgerliche Umarmung des Kreises Recklinghausen geschoben. Widerstand? Zwecklos.
Die folgenden Jahre waren eine Art Zwangsehe auf Aktenbasis. Man lebte nebeneinander, manchmal miteinander, aber nie wirklich füreinander. Der Kreis Recklinghausen ließ Gladbeck machen, solange es nicht störte, und Gladbeck versuchte, sich nicht zu laut daran zu erinnern, dass es mal mehr war als ein Kreisbaustein.
Und jetzt, 2026, soll das alles gefeiert werden? Fünf Jahrzehnte Kreiszugehörigkeit, ein halbes Jahrhundert integrationswilliges Durchhalten in einem Verwaltungsorganismus, der vor allem durch seine Blätterdichte und Formularvielfalt besticht? Werden große Feierlichkeiten erwartet? Oder wenigstens kleine, gut durchgeplante mit Sitzordnung und Grußworten von Menschen, die für so etwas eingeladen werden, weil sie im Telefonbuch eine eigene Seite haben?
Insgeheim darf man natürlich auf etwas Größeres hoffen: Eine Militärparade auf der Hochstraße, angeführt vom Kreisbrandmeister in Galauniform, gefolgt von Verwaltungsbeamten in Marschformation, aktenwerfend und mit Heftgeräten bewaffnet. Wagen mit historischen Dokumenten, übersät mit Stempeln und Paragraphenzeichen, flankiert von Grundschulklassen, die das Kommunalabgabengesetz rezitieren. Eine Art Karneval der Sachbearbeiter.
Warum nicht gleich einen Festakt mit prominenten Rednern aus der Welt der Kreisstruktur? Vielleicht ein Grußwort von der Bezirksregierung, musikalisch untermalt vom Ensemble "Kreisjugendblasorchester in B-Moll". Oder ein Feuerwerk in Form von synchron blinkenden Fluchtwegschildern, als Zeichen für die Freiheit, die nie kam.
Die Stadt Gladbeck selbst gibt sich bislang kryptisch. Keine offiziellen Anzeichen für monumentale Festivitten, kein Hinweis auf putinistische Protzfeierlichkeiten oder trumpistische Selbstdarstellung mit Goldfolie, Pomp und Hühnernuggets. Aber wer weiß? Vielleicht werkelt man still im Hintergrund an einer festlichen Große-Gremiensitzung mit Schnittchen, in deren Verlauf ein eigens verfasster Antrag zur Jubiläumserwähnung im Amtsblatt durchgewunken wird.
Bleibt zu hoffen, dass wenigstens ein großer Ordner aus dem Archiv geholt wird, mit goldenen Registerkarten, symbolisch aufgeschlagen auf Seite 1976, überreicht vom Landrat persönlich. Und wenn nicht? Dann bleibt immer noch die stille Freude über 50 Jahre gelebte Verwaltungsrealität. Mit all ihren Formularen, Zuständigkeiten und der schönen Illusion, dass Strukturreformen mehr sind als Schachzüge auf einem Papierbrett.
Denn wenn deutsche Verwaltungsrealität eines kann, dann: mit maximalem Aufwand minimale Emotionen erzeugen. Prost, Gladbeck. Und denk dran: Wer feiern kann, kann auch Anträge ausfüllen.
🧾 Faktenbox: Gladbeck und die Kreisreform 1975
Thema | Fakten & Daten |
Ereignis | Eingliederung in den Kreis Recklinghausen |
Datum der Reform | 1. Januar 1975 |
Rechtsgrundlage | Neugliederungsgesetz NRW, 1974 |
Vorherige Zugehörigkeit | Kreisfreie Stadt Gladbeck |
Einwohnerzahl (1975) | ca. 85.000 |
Folgen der Reform | Verlust der Kreisfreiheit, Proteste, Verfassungsbeschwerde |
BVerfG-Urteil | 1979 – Bestätigung der Eingliederung |
Heute | Stadt im Kreis Recklinghausen (ca. 76.000 Ew.) |
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